Erstcheck: Haben Objekte eine verdächtige Herkunft?
Der Kunsthistoriker Sven Pabstmann sucht nach NS-Raubgut in den Sammlungen des Stadtmuseums Halle und gibt einen Einblick in seine Recherchen.
von Sven Pabstmann
Die Provenienzforschung beschäftigt sich mit der Frage, woher ein Objekt stammt. Als Provenienzforscher durchsuche ich Sammlungen nach sogenanntem NS-Raubgut. Damit sind Gegenstände gemeint, die Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) unrechtmäßig entwendet und später in das Museum gelangt sein können. Dabei treiben mich vor allem folgende Fragen an: Wer hat das Objekt wann erworben und unter welchen Umständen? Auf welchen Wegen ist es in das hallische Stadtmuseum gelangt? Gibt es Hinweise darauf, dass das Objekt von den Nationalsozialisten geraubt wurde? Was wissen wir über das Leben und das Schicksal der früheren Besitzer? Auf diese und noch viele weitere Fragen suchen Provenienzforscher auf unterschiedliche Weise Antworten.
Eine Methode bei der Suche nach NS-Raubkunst ist der sogenannte Erstcheck. Er wurde für kleinere und mittlere Museen entwickelt. Sie können diese komplexe und zeitaufwendige Suche oft nicht aus eigener Kraft leisten. Daher organisiert der Museumverband Sachsen-Anhalt e. V. die Erstchecks und das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste stellt dafür die finanziellen Mittel bereit. Ziel des Erstchecks ist es, Spuren zu finden und zu dokumentieren, die auf unrechtmäßig erworbenes Kunst- und Kulturgut hindeuten.
Vom 27. September bis 7. November 2021 habe ich einen solchen Erstcheck im Stadtmuseum Halle durchgeführt. Es ist eines von vier Museen, die ich in den vergangenen sechs Monaten auf diese Weise geprüft habe. Meine Arbeit im Museum beginne ich in der Regel zuerst mit der Durchsicht der Inventarbücher und anderer historischer Archivunterlagen. Ich achte dabei auf Unregelmäßigkeiten und verdächtige Einträge in den Eingangsbüchern, wie zum Beispiel Einlieferungen von der Gestapo oder der NSDAP, aber auch auf die Namen jüdischer Familien. Im Anschluss daran wähle ich verschiedene Objekte aus, die ich mit Unterstützung der Mitarbeiter des Museums genauer unter die Lupe nehme, um Spuren von früheren Besitzern zu finden. Diese Spuren können zum Beispiel Stempel, Eingravierungen oder handschriftliche Vermerke auf der Rückseite von Gemälden sein. Manchmal sind es auch aufgeklebte Papieretiketten, wie im Fall eines Schmucktellers im Depot des Stadtmuseums Halle. Der Teller ist mit blauen Blattranken und den Flaggen Russlands und Frankreichs versehen. Er trägt die Jahreszahl 1888 und erinnert wohl an die französisch-russische Allianz, die unter Zar Alexander III. geschlossen wurde. Vermutlich wurde er von der Steingutfabrik in Choisy-le-Roi, einem Städtchen wenige Kilometer südöstlich von Paris, hergestellt. Das genaue Alter des Tellers ist unbekannt. Auch ist nicht bekannt, wem der Teller früher einmal gehört hat und wie er später in das Stadtmuseum Halle gelangt ist. Das auf der Unterseite des Tellers aufgeklebte blau umrandete Etikett führt bei der Klärung dieser Frage kaum weiter. Wie es scheint, wurde versucht, es abzukratzen und ist dadurch unlesbar geworden.
Dieser Teller war aber nur eines von hunderten Objekten, die ich bei meinen Recherchen im Stadtmuseum Halle untersucht habe. Das Museum besitzt ja eine große Anzahl und Spannbreite an Gegenständen aus verschiedenen Jahrhunderten. Über die Herkunft der Objekte und ihren Weg bis ins Museum ist aber meistens wenig bekannt. Die Suche nach der Herkunft eines Gegenstandes und die Rekonstruktion der Biografien seiner früheren Besitzer lohnt sich in jedem Fall, um etwaiges Unrecht aufzuklären und Objekte zum Sprechen zu bringen.
Weitere Informationen zu den Erstchecks finden sich auch auf der Homepage des Museumsverbandes Sachsen-Anhalt e.V.: https://www.mv-sachsen-anhalt.de/?lang=de&page=provenienz